Seit fast 18 Monaten gibt es kein Urlaubsfoto mehr von mir. Zumindest nicht in dem Sinne, wie ich Urlaub bisher verstanden habe. Also weg von daheim – wenigstens mal übers Wochenende. Vielleicht geht es Dir ja auch so. Vielleicht ist es bei Dir ja auch noch viel länger her. Vielleicht warst Du jahrelang nicht mehr weg oder sogar noch nie.

Ein kleiner Blick in die Zeit davor:

 

Abstand und weniger Komplexität

Früher bin ich auch mal jahrelang nicht verreist. Irgendwann habe ich jedoch festgestellt, dass es mir gut tut, um wirklich Abstand zum Alltag zu haben. Nach und nach kristallisierte sich bei meinen Reisen aber auch heraus: Je mehr Natur und Einfachheit, desto größer mein Erholungswert. So entdeckte ich das Wandern für mich. Am meisten bereicherten mich solche Touren, bei denen ich mich einfach treiben lassen konnte. Morgens noch nicht wissend, wo ich abends übernachten werde. Selbst bei Fernreisen habe ich mich das ab und zu schon mal getraut. Von Tour zu Tour wurde mein Gepäck leichter – jedes Gramm zu viel bedeutete sonst mehr Anstrengung.

 

Der Fluch der 10.000 Dinge

Eines hatten diese Reisen gemeinsam: Die ersten Tage daheim beschlich mich häufig das Gefühl von Beklemmungen. So viele Dinge um mich herum, die zwar durchaus schön und angenehm sind, aber mich irgendwie meiner Freiheit beraubten. All diese Sachen in einem großen Haus wollen nicht nur benutzt oder betrachtet sein, sondern auch gepflegt bzw. verwaltet. Das bindet Lebenszeit und Geld (welches ja auch verdient werden muss).

Irgendwann hat dies bei mir dazu geführt, dass ich mich räumlich zunächst auf die Hälfte verkleinert habe.

 

Lt. Statistischem Bundesamt besaß ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland vor 100 Jahren im Schnitt 180 Dinge. Heute sind es 10.000!

Nach einer mehrwöchigen Tour im Januar 2020 hatte ich das dringende Bedürfnis, mich auch von Dingen zu trennen. Damals habe ich eine Challenge ins Leben gerufen. Ziel: Zusammen mit einer Challenge-Partnerin in 10 Wochen jeweils 10% der Komplexität in unseren Wohnungen – in unserem Leben zu reduzieren. Wir durchforsteten Schränke, Ordner, Garagen und noch viel mehr. Jede Woche posteten wir unsere Fotos. Zu sehen waren Ordnung, Struktur, Klarheit, und vor allem „weniger als vorher“. Begeistert hat mich auch, dass ein Teil der Dinge dankbare Abnehmer:innen fand. Von Woche zu Woche verspürte ich mehr Erleichterung und hatte gleichzeitig das Gefühl, Gutes zu tun.

 

Und dann kam dann die Pandemie in Deutschland an.

Kannst Du Dich erinnern, was viele Menschen taten? Sie räumten auf und aus. Schlangen vor Recyclinganlagen, Aufnahmestopp bei Kleidersammlungen etc. eingeschlossen.

Gleichzeitig war ein weiteres Phänomen zu beobachten. Ich sage nur: Klopapier, Mehl, Hefe.

Hamsterkäufe von einfachen Dingen, die sich jede:r leisten konnte und die einem eventuellen persönlichen Mangel vorbeugen sollten.

Dass tatsächlich angesichts teilweise leerer Regale der Eindruck von Knappheit entstand, verwunderte angesichts all des sonstigen Überflusses sicherlich nicht nur mich. Und ganz ehrlich: Auch ich ertappte mich im Supermarkt einmal am Regal der Backzutaten bei dem Wunsch nach Hefe. Für mich danach völlig befremdlich, denn meinen letzten Hefekuchen habe ich vermutlich vor mehr als 5 Jahren gebacken. Aber Angst ist eben alles andere als rational.

 

Mein Fazit: Klarheit im Außen und Klarheit im Innen bedingen sich gegenseitig. Ein Gefühl von Selbstwirksamkeit hilft, Ängste zu reduzieren – fehlt dies, nimmt die Angst zu.

Was wir gewöhnlich unter Angst verstehen, hat auf den ersten Blick vielleicht wenig zu tun mit dem Verhalten, das ich gerade beschrieben habe. Dennoch, sie gehört zu den Grundgefühlen des Menschen und unser Handeln ist mehr als wir zunächst denken, von ihr bestimmt. Gerade in der aktuellen Zeit macht es Sinn, noch mehr darüber nachzudenken, welche Ängste unser Leben bestimmen und woher sie kommen.

 

Solidarität und Hilfsbereitschaft?

Angenehme Erinnerungen verbinde ich mit den vielen Signalen gesellschaftlicher Verbundenheit -insbesondere zu den Anfängen der Pandemie. Eine Welle von Hilfsbereitschaft und Anerkennung schwappte über das Land. So viele Zeichen von Solidarität mit den Schwächeren, mit den Risikogruppen, mit denen die der Krankheit täglich in hohem Maße ausgesetzt waren (teilweise nahezu ungeschützt). Rückblickend dachte ich damals, dass sich unsere Gesellschaft extrem zum Positiven verändern wird.

Ist das nach vielen Monaten der Pandemie und angesichts der aktuellen Situation auch noch so? Wie empfindest Du das?

Ich habe so viele weitere Phänomene beobachtet, die allerdings meinen heutigen Beitrag sprengen würden.

Wenn es Dich interessiert, bleib dran – es wird sicher eine Fortsetzung geben, denn ich habe festgestellt, dass mir persönlich auch Schreiben hilft, um die aktuelle Situation zu verarbeiten. Vielleicht hast ja auch Du damit längst begonnen. Falls nicht, magst Du es ja vielleicht mal versuchen? Gerne kannst Du mir auch schreiben.

 

Ich vermisse echte Begegnungen!

Irgendwann im Frühsommer verschickte ich Erinnerungsfotos an die Familie und Freunde. Fotos früherer Begegnungen – also in echt. Geburtstage, Feiern, Urlaube, gemeinschaftliche Unternehmungen. Wahrscheinlich kommt Dir das ziemlich bekannt vor. Wir vermissten unsere Lieben, die Freude, die wir mit ihnen hatten – live, nicht nur am Bildschirm.

Und sei ehrlich: Hätte uns damals jemand gesagt, dass das ein Jahr später noch so sein wird, hätten wir dies ausgeschlossen. Vielleicht hätten wir sogar gewaltig rebelliert.

Nach und nach hat sich auf diese Weise etwas in unser Leben eingeschlichen, das die einen zermürbt, während es für andere zur „neuen Normalität“ wurde.

 

Es geht im Leben nicht darum, die besten Karten zu haben, sondern darum, mit einem schlechten Blatt noch ein gutes Spiel zu machen.

Als Resilienztrainerin spreche ich häufig über Akzeptanz als eine der elementaren Säulen der Resilienz. Damit tun sich erfahrungsgemäß zunächst viele Menschen schwer. Bis wir uns damit beschäftigen, was unter Akzeptanz zu verstehen ist. Denn es bedeutet keineswegs, sich mit Situationen einfach abzufinden. Akzeptanz heißt aber, die Situation zunächst mal so anzunehmen, wie sie ist. Die Klärung der Schuldfrage hilft NULL zu deren Bewältigung. Sie kann allenfalls dazu beitragen, zukünftige Fehler zu vermeiden.

In Ruhe und mit Bedacht sollte man zunächst eine Situation analysieren. Danach sich fragen, was man ändern, was zur Lösung beitragen kann. Alternativ kann die Analyse auch zum Ergebnis führen, die Situation so zu belassen und sich damit zu arrangieren.

Die Strategie “change it – love it – leave it”, ist im Falle der Pandemie m.E. nur eingeschränkt tauglich. Denn die Situation einfach zu verlassen, erscheint eine schwierige Mission zu sein. Funktioniert vielleicht durch kleine Fluchten aus dem Alltag, deren nachhaltige Wirkung ich jedoch bezweifle.

Schwierigkeiten, in Balance zu bleiben

Mich mit den Dingen irgendwie zu arrangieren oder Positives zu deren Lösung beizutragen. Das nehme ich immer wieder als Zerreißprobe wahr. Ganz ehrlich, manchmal muss der Ärger und Frust auch mal raus. Wenn der Druck zu groß wird, braucht er ein Ventil – wir sind alle nur Menschen. Das gilt nicht nur in der Pandemie – auch sonst.

Aber hier liegt die ganz große Gefahr! Das was wir täglich in der Gesellschaft an Aggression gegen andere oder sich selbst beobachten können, sind die negativen Auswirkungen davon. Zielführend sind sie nicht, denn sie werden Angst, Wut und Hass verstärken und das macht mir Sorgen.

 

Ärger und Frust kann man tatsächlich auch in eine andere Richtung lenken, indem man die Energie nutzt und sich positiv entladen lässt.

Für diesen Weg habe ich mich entschieden. Ich möchte nicht alles akzeptieren. Da ist zu vieles, das aus meiner Sicht dagegenspricht und ich möchte mir am Ende des Tages zumindest sagen können, dass ich es wenigstens probiert habe. So versuche ich z.B. Menschen dabei zu helfen, sich selbst und andere besser zu verstehen. Wer in der Lage ist, andere Perspektiven einzunehmen, lebt konfliktfreier und zufriedener.

Ich bin davon überzeugt:

Der Schlüssel zur Lösung vieler globaler Probleme liegt darin, unsere WIRKLICHEN Bedürfnisse besser zu verstehen.

Warum auch mir das in den letzten Monaten mehr bewusst wurde? Ich fühle mich in manchen Dingen entschleunigt. Früher war ich extrem viel unterwegs – heute erledige ich vieles von daheim. Mein Bedürfnis nach Natur stille ich noch mehr als sonst und verbinde es teilweise mit meiner Arbeit. Fast ein wenig wie Urlaub – wären da nicht diverse Einschränkungen meiner Freiheit, aber auch Belastungen durch neu dazu gekommene Herausforderungen.

Was es bedeutet gleichzeitig HomeOffice, Homescholling, Haushalt u.v.m. zu managen, kenne ich von meinen Kunden. Meist lernen wir uns dann kennen, wenn die Beziehung oder sie selbst auf der Strecke geblieben sind. Das war auch schon vor der Pandemie so.

Bis dahin hat man meist versucht, der Seele oder die Beziehung im Urlaub etwas Gutes zu tun. Aber sei ehrlich: Wie nachhaltig wirksam waren 2-3 Wochen Batterien aufladen bei Dir? Oder für Deine Beziehung? Was bleibt nach ein paar Tagen außer ein paar Urlaubsfotos mit denen wir die Erinnerung daran wieder wecken? Wenn´s ganz dumm lief, brachte der Urlaub sogar erst richtig zu Tage, was in den anderen rund 50 Wochen des Jahres schiefgelaufen ist.

Versteh mich bitte nicht falsch – auch ich liebe das Reisen. Urlaub ist wunderbar, bereichernd und die Erinnerung daran kann sich je nach Erlebnissen tief ins Herz brennen. Aber er ist keine langfristige Lösung für andere Probleme. Dazu ist das „leave it“ zu kurz.

 

Jetzt steht die Urlaubszeit wieder an – aber reisen? Für mich derzeit noch kein Thema.

Mir persönlich sind damit noch zu viele Einschränkungen verbunden, denn im Urlaub brauche ich das Gefühl von Freiheit noch viel mehr als sonst. Also erstmal weiter ohne Urlaubsfotos.

Wenn ich all meinen Erlebnissen in diesem 18 Monaten innere Bilder zuordne, fällt mir die gesamte Bandbreite der Emotionen auf, die sich darin spiegeln.

Die sprichwörtliche „emotionale Achterbahn“ in Veränderungsprozessen ist mir durch meinen Beruf sehr vertraut. Aber, in einer solchen Intensität auf so lange Zeit habe ich sie vorher nicht erlebt.

Dabei bin ich mir bewusst, in welch privilegierter Lage ich bin. Niemand in der Familie oder unter meinen Freunden ist niemand ernsthaft krank oder existenziell gefährdet. Dafür bin ich so sehr dankbar. Aber ich denke auch an die anderen, denen es nicht so geht.

Wie werden sie sich wohl fühlen, während ich über entfallenen Urlaub schreibe und andere schon verreisen?  Eines haben wir sicherlich gemeinsam: Die Unsicherheit wie all das noch weitergehen wird.

Was mich sehr bekümmert, ist die Tatsache, dass Live-Begegnungen nach wie vor selten sein dürften. Kontaktvermeidung finde ich wirklich schlimm. Die meisten Menschen brauchen Kontakte – übrigens auch Blickkontakte. Die langen Beschränkungen werden Folgen haben. Da bin ich sicher – leider.

 

Was setzte ich all dem entgegen? Nicht erst seit der Pandemie – aber doch dadurch bestärkt:

Wärme und Herzlichkeit in den seltenen Momenten der Begegnungen mit anderen

(ein Lächeln und ein freundlicher Gruß kosten nichts und sind ein Geschenk für jeden)

Achtsamkeit für die eigenen Bedürfnisse und die der anderen

Tiefgang in Gesprächen – echtes Zuhören

Besinnung auf das was wirklich wichtig ist und loslassen von allem was nicht gut tut

Kreativen Ideen wieder nachgehen und positiven Spirit verbreiten

Auch laute Musik und dabei durch die Wohnung tanzen hilft – sogar dann, wenn mich mal der Ärger packt.

Und bei diesen Gedanken geht es mir direkt besser, denn es ist eines meiner wichtigsten Ziele geworden, das beizubehalten und andere damit zu inspirieren.

Auch dann, wenn es bei mir wieder Fotos von Gemeinsamkeit oder Urlauben geben wird. Sie werden dann noch besser sein, weil ich noch mehr deren wahren Wert zu schätzen weiß.

 

Sei herzlich gegrüßt und bis bald

Sonja

 

Übrigens: Wenn Du auch nicht reisen magst oder kannst: Dann nutze doch mal die Zeit für eine Reise zu Dir selbst. Vielleicht auch zusammen mit Partner:in oder Freund:in.

Gerne mache ich Dir/Euch dazu individuelle Angebote. Frage direkt hier an.